Um es vorweg zu nehmen: eigentlich bin ich überzeugter Bahnfahrer. Mit Bahncard, Bonuspunkten und dem ganzen vollen Programm.
Aber:
Irgendwann reicht’s dann doch. Eher stell‘ ich mich bei 35° in kilometerlange Staus, da kann ich wenigstens selbst lenken. Und lande nicht mitten im Tunnel auf dem Abstellgleis…
Die Ironie der Reise beginnt ja nicht erst, sobald man an Bord einen Kaffeebecher entgegen nimmt, auf dem in werbeträchtigen Lettern die Mär vom „Genuss unterwegs“ mehrsprachig aufgedruckt ist. Auch nicht in den 20 Minuten zuvor, als die Bordmamsell (die politisch korrekt sicherlich anders heißt) 2x am Abteil vorbeiläuft und sich wundert, dass ihr niemand Kaffee abkauft. Also gut, ich bin jung und kann laufen, also auf in’s Bordbistro und Kaffee selber holen. Die Auswahl: abgestandene Koffein-Flüssigsubstanz aus Thermkoskannen mit oder ohne Zucker. Nein, Milch (echte) gibt es nicht. Also gut, dann Thermoskaffee und Kondensmaismilch und zurückwackeln.
Um den Zug überhaupt zu kriegen, wurden unterschiedliche Hindernisse ersonnen: Zunächst war angezeigt, dass der ICE von Gleis 8 nach MUC 10 Minuten verspätet fährt – passt gar nicht schlecht, muss ich nicht so rennen. Am Gleis dann im Wechsel der Verspätungshinweis und Nachricht von geänderter Wagenreihung, also raus aus der Bahnhofshalle und in die pralle Sonne Frankfurts (erwähnte ich die 35°?), kein Lüftchen weht. Nach 15 min. fährt ein Zug ein, den die meisten (endlich!) besteigen – hoffentlich wollten auch alle nach Essen, wurde doch klammheimlich flugs die Zugangabe zum Gleis geändert. ob und wann der MUC-Zug kommen soll, wissen inzwischen nicht mal mehr Bahn-Angestellte. Es sammeln sich ratlose Gestalten mit Blick auf die noch verbleibenden funktionstüchtigen Anzeigen in der Bahnhofshalle. (Anmerkung: zu diesem Zeitpunkt sind die Monitore in der DB-Lounge sämtlich defekt und werden auf Rückfrage „vermutlich in 2-3 Monaten“ ersetzt; bis dahin wird informationshungrigen Reisenden empfohlen, aus den Fenstern in die Bahnhofsvorhalle zu schielen, um dort Infos zum Zug aufzuschnappen, je nach Blickwinkel.)
Inzwischen ist der Essen-ICE sanft aus dem Bahnhof gerollt und endlich gibt es am großen Bahnhofs-Bord auch wieder einen Zug nach München, die Verspätung wird nun mit 35 Minuten angegeben, Wagenreihung irgendwie. Erfahrene Bahn-Hasen warten bis zur tatsächlichen Einfahrt des tatsächlich richtigen ICE-Zuges und schlendern dann zum Bahnsteigende um endlich loszureisen. Mit kaum 45-minütiger Verspätung nimmt die Schiene ihren Lauf…
Später, viel später dann fast Stuttgart. Aber nur fast. Denn: mitten in einem Tunnel verlangsamt der Zug, rollt aus, bleibt stehen. 10 Minuten nichts, Dunkelheit. Dann Durchsage: Aufgrund einer Stellwerkstörung geht es nicht weiter, sollten Informationen vorliegen, gebe es weitere Durchsagen. Ah ja… Weitere 15 Minuten darauf: Die Weichenstörung besteht noch, aber Techniker sind unterwegs. Bin mir nicht sicher, ob ich das vertrauensvoll finde, aber tun kann ich eh nix. Weitere 10 Minuten später die Ansage: Wir fahren nun einige Kilometer rückwärts, um dann an der fraglichen Weiche richtig zu fahren (bisher: falsch), inzwischen wurde die Notbeleuchtung des Tunnels eingeschaltet. Während wir im Schritttempo rückwärts rollen, überholt uns am Gleis daneben ein Interregio, wir winken sachte rüber, bis der Zug wieder anhält (unserer). Stillstand, zwischendurch ein schneller ICE, der uns diesmal in unserer Fahrtrichtung überholt, gottseidank auch wieder auf dem Nachbargleis. Irgendwann fahren auch wir wieder und kommen mit 2-stündiger Verspätung nach Stuttgart – wer kann und hier zu tun hat, wirft sich erschöpft neben den Zug (steigt also aus), ich rechne hoch: meine Ankunft wird irgendwann abends.
Nach dem Stopp in Stuttgart werden hinzugestiegene Fahrgäste begrüßt, zudem werden alle Insassen informiert, dass der Zug nun 135 Minuten Verspätung hat. Ach ja, und dass er NICHT nach München fährt. Übrigens auch nicht nach Essen, was irgendwie tröstlich ist. Aber eben Endstation Augsburg, ohne Hinweis auf weitere Verbindungen.
Immerhin hat die Kaffeetante gelernt und fragt im Vorbeigehen, ob ich Kaffee will. Geht der auf’s Haus, als Beschwichtigung für die Verspätung? Erstaunter Blick und klare Ansage: Nein. Wieso auch.
Und schon bin ich wieder bei der Frage, wieviel Service die Bahn sich leisten sollte: Selbstkosten von geschätzten 1,- EUR pro Passagier, damit die frustrierten Reisenden nicht die nächsten 3 Reisen canceln?? Ach wo, Erfüllung der angepriesenen Leistung (München war versprochen, tatsächlich gibt es Augsburg) ist was für Kleinunternehmer, die Bahn macht stattdessen lieber Marketing.
Und keinem Bahnangestellten fällt auf, dass der „Genuss unterwegs“ weder die Sauberkeit, noch den Service, auf gar keinen Fall die Informationsqualität und auch nicht die Pünktlichkeit betreffen kann. Unter diesen Voraussetzungen kann ich mich nicht so recht über die Happy Hour der Bahn freuen: Bezahlt habe ich für 3 Stunden, 1 Zug - bekommen habe ich 6 Stunden, 2 Züge!