Es war einmal ein Blondi, das so idealistisch war, dass nur die inneren Werte zählten. Dass meine erste große Liebe die meiste Zeit in dem typischen Outfit eines heranwachsenden Jungmannes herumlief (irgendeine Jeans, ein verwaschenes, gelegentlich auch löchriges T-Shirt mit Band-Aufdruck und Rundhalspulli) war schade, aber kein Hindernis. Naja, abgesehen von dem einmaligen Eingriff in seine Unterwäsche-Kollektion - aber ich hatte eine Verbündete in seiner Mutter, die kurzerhand eingriff und die Eingriff-Stücke seiner Spät-Kindheit sämtlich durch Boxershorts ersetzte. Aber ansonsten, ehrlich, war Äußerliches total egal. Früher war eben alles besser...
Jetzt stelle ich fest, dass mein Beuteschema einen Bogen um die Netten macht. Auch dann, wenn es keine langweiligen Softies sind, sondern gestandene Männer mit eigenen Interessen, Freunden, Stärken. Und da beschleicht mich ein unheimlicher Verdacht:
Wären der Theaterfreund oder der Tanzbär aufregender / körperlicher / eben: möglicher, wenn ihr Äußeres eine Mischung aus Brad Pitt und Gerard Butler wäre? Das würde bedeuten, dass ich Männer diskriminiere, die es ohnehin schon schwer haben in der Frauenwelt. Andererseits: es geht um Körperliches, und das hat nun mal viel mit dem greifbaren Erscheinungsbild zu tun. Die Herren selbst sind übrigens kaum besser: keiner von ihnen sucht die verborgene Perle von guter Seele, die in einem unattraktiven Äußeren gefangen ist. Statt dessen sprechen die Beaus genauso wie die Underdogs auf die üblichen Reize an: Beine, Busen, hübsches Gesicht. Erst nach der Schwelle der optischen Eyecatcher folgt die Ansprache und ich habe noch keinen Mann erlebt, der mit einer Frau befreundet ist, die er nicht attraktiv findet.
Und so lehnt sich mein Gewissen entspannt zurück und versinkt schweigend in den Sofakissen - es geht eben doch um das Innere im passenden Äußeren und "kompromissbereit" hat Grenzen. Gegen Anziehungskraft und unerklärliches Bauchkribbeln ist die Vernunft ("...er wäre doch so nett, können wir nicht eine platonische Zweckehe eingehen?!") am Ende doch machtlos.