Abitreffen sind lustig, heikel, interessant und für die meisten eine Art Showbühne; neben der Freude über das Wiedersehen alter Bekannter ist die Selbstdarstellung ein wesentliches Element dieser Veranstaltungen. Und weil das so ist, wird in den meisten Fällen ein Fotograf geordert, der das Ganze festhält - so auch bei dem Jahrgangstreffen, das zwar nicht meins war, aber schon sehr nah dran und somit voll von bekannten Gesichtern sein müsste.
Sein müsste. Wäre da nicht in 95% der Fälle die Frage: Wer ist das??
Auch ohne Wiedererkennen fallen sofort die üblichen Schubladen in's Auge: der Computer-Rollenspiel-Mittelalter-Typ mit 25kg Übergewicht, Rauschebart und langen, strähnigen Zottelhaaren. Der Computer-Business-Technikfriemel-Nerd, der in der Berufswelt seine Nische gefunden hat und fröhlich und unbefangen auf andere zugeht, weil ihm Äußerlichkeiten und Selbstdarstellung noch nie wichtig waren. Der Yuppie mit von-Guttenberg-Styling, der irgendeinen beratenden Bürojob hat und sein Cabrio über alles liebt. Jede Menge Hausfrauen (berufstätig oder auch nicht) mit kinnlangen Haaren und einer gewissen Distanz zum Partyleben, die sich nie ganz überwinden lässt. Und natürlich: diejenigen, die immer schon cool waren und es jetzt auch sind. Sie strahlen auf den Fotos, flirten mit der Kamera und den Umstehenden, Tauschen Erinnerungen an Rennovierungs-Partys aus der Schulzeit aus und sind zu 70% auch mit knapp 40 noch / wieder Single.
Eine Sache, die ich nur schwer nachvollziehen kann: über die Hälfte der Leute hält es für ein Naturgesetz, dass man zwischen 20 und 40 die Verwandlung vom jugendlichen Ich zu einer Neuauflage unserer Eltern vollzieht: Haltung, Stil, Auftreten, Figur, Resignation - warum sollte das anders sein? Naja, wahrscheinlich ist es ganz gut, dass nicht alle Welt dem ewig-jung-Trend hinterherhechelt, aber wenn man immer so alt ist, wie man sich fühlt, dann ist bei einigen 40 = mittelalt und bei anderen 40 = viel gemacht, viel gesehen, viel erlebt, aber immer noch neugierig auf die Welt.
Sehr lustig auch beim Durchklicken durch die Bilder: Oh schau an, der Journalist - mit dem hatte ich doch auch mal...?! Ein fast vergessenes Intermezzo. Ein paar schöne Abende, eine Annäherung, aus der dann noch nichts Richtiges wurde und die zufriedene Feststellung: ich hatte schon damals einen guten Geschmack!